Bei meinen Recherchen im Glarner Wirtschaftsarchiv fand ich in einem Buch ein kleines Zettelchen mit einer technischen Skizze. Man sieht ein paar Walzen, eine Dampfzufuhr und -abfuhr. Erst war es nur im Weg, weil es die darunter liegenden Informationen der Firma Behn, Meyer & Co aus Singapur mit Instruktionen zur Batikproduktion verdeckte. Zuhause beim Überfliegen fiel mir dann allerdings ein Begriff auf: ‘Damar’. “Mögl. dass sich der Damar ohne Wachs auflöst,” steht da zu lesen.
Damarharz und Bienenwachs
Damar ist ein Harz, ähnlich wie Copal oder Bernstein, das von einem Baum auf den Molukken produziert wird. Aus Einschnitten und bei den Wurzeln fliesst weiches und klebriges Harz aus, das mit der Zeit hart wird, in der Grösse einer Erbse bis zu der eines Hühnereis. Laut dem Kaufmännischen Universal-Lexikon von 1867 wird es zum Überziehen von Gemälden und zum Abdichten von Schiffen gebraucht.[1]Fort, Ludwig / Huber, Ludwig (1867). Neuestes Universal-Lexicon der gesammten kaufmännischen Wissenschaften. Bd. 1. Leipzig.
Was im Lexikon nicht erwähnt ist: Damarharz ist – gemischt mit Timor-Bienenwachs – das Material mit dem javanische Batiks gezeichnet werden. Die mit Wachs versehenen Teile des Tuches werden nicht eingefärbt und so entstehen in verschiedenen Schritten komplexe vielfarbige Muster. Dank der Wachstechnik sind Vorder- und Hinterseite gleich gemustert. Der Damar verlieh dem Wachs Festigkeit und auch eine gewisse Elastizität, welche das Brechen beim Färben verhinderte. Zum ersten Mal bin ich Damar in einem Gutachten aus 1855 begegnet, der sich mit dem Geruch des Batiks auf Java beschäftigte. Dazu später mehr.
Als europäische Produzenten Batik zu imitieren begannen, verwendeten sie nicht Wachs, sondern liessen die Farben mit Blöcken drucken. Dabei mussten sie auch die typischen Wachsbrüche imitieren, das sogenannte Craquelé. Die Qualität dieser Imitationen liess allerdings meistens zu wünschen übrig: Manche waren nur einseitig bedruckt, die Farben waren schlecht getroffen, das Craquelé zu grob und zu regelmässig. Den Glarnern gelangen noch relativ gute Imitationen, indem sie mit spiegelverkehrten Blöcken die Hinterseite bedruckten. Das erforderte eine hohe Präzision, was sich in den Preisen der Stoffe spiegelte. Einen anderen Weg ging Théodore Prévinaire, ein Belgier, der im niederländischen Haarlem eine Wachsdruck-Maschine für Batikstoffe entwickelte. ‘La javanaise’ hiess sie sinnigerweise, denn damit sollten sich Stoffe machen lassen wie auf Java. 1854 erhielt Prévinaire ein Patent.
1860 folgte der Glarner Egidius Trümpy dem Vorbild von Prévinaire und stellte Batik mit Wachsreservedruck her. Dazu benutzte er ein Gemisch von Wachs und Colophonium, also ein europäisches Harz und nicht Damar.[2]Nabholz-Kartaschoff, Marie-Louise (2019). Original or Imitation? Batik in Java and Glarus (Switzerland) in the Nineteenth Century. The Textile Museum Journal 46(1). P. 198. Deutete das Zettelchen darauf hin, dass auch die P. Blumer & Jenny mit Wachsreservedruck experimentierten? Und das schon vielleicht schon vor Prévinaire? Denn das Zettelchen klebt auf einer Seite, die mit Nachrichten aus 1847 datiert ist. Oder ging es doch eher um den Geruch der Batiks, wie oben angedeutet?
Leider hatte ich die Hinterseite des Zettelchens nicht fotografiert, weshalb ich im Dunkeln tappte. Netterweise half mir Madlaina Brugger vom Glarner Wirtschaftsarchiv aus. Die Hinterseite vermerkte: “Für Räucherung der Battik”. Damit war deutlich: es ging bei der Zeichnung nicht um das Aussehen, sondern um den Geruch der Batiks. Damit komme ich zurück auf das Gutachten von 1855.
Der Geruch der Batiks
Geschrieben wurde das Gutachten von einem Angestellten der Nederlandse Handel Maatschappij (NHM) für die Fabrik von Prévinaire in Haarlem.[3]Das ganze Gutachten findet sich in: Rouffaer, Gerrit Pieter / Juynboll, Hendrik Herman (1899). De batik-kunst in Nederlandsch-Indië en haar geschiedenis. Haarlem: Kleinmann. B I-VI. Die NHM kann als die Nachfolgerin der 1800 Konkurs gegangenen Ostindien-Kompanie (VOC) gelten und ist somit gewissermassen die niederländische Instanz für den Handel im indonesischen Archipel. Hauptsächlich verlegte sie sich auf lokale Produkten wie Kaffee, Zucker, etc. Sie sollte aber auch niederländischen Textilien den Markt in Java öffnen. Dieser Handel haperte, nicht nur bei den billigsten Qualitäten, sondern auch bei den besseren, die sich um Echtheit der Motive bemühten. Bei echtem javanischen Batik wird nämlich der Stoff in der Farbe getränkt, bei den Imitaten hingegen wird die Farbe nur aufgedruckt, weshalb ersterer farbecht bleibt, während letztere je nach Qualität des Druckes schneller oder langsamer ausbleicht. Von Auge waren die Imitate – laut dem Gutachter – nicht von den Originalen zu unterscheiden, doch die Javaner rochen an den Batiks und konnten so den Unterschied einfach erkennen.
Der Gutachter hatte also die Aufgabe herauszufinden, was dem javanischen Batik seinen Geruch verleiht, damit die Produzenten in den Niederlanden diesen nachahmen konnten. Er ging dabei sehr systematisch allen Bestandteilen der Batikproduktion nach, von Färbemitteln über Beizen bis zum Wachs. Dabei kam er zum Schluss, dass die Mischung von Timorwachs und Damarharz den Batiks ihren Duft gibt. Um dies zu testen, tauchte er einen Glarner Batik – damals die beste vorhandene Imitation – in ein Bad mit dem Gemisch. Einige Tuchhändler auf Java waren darauf überzeugt, einen originalen Java-Batik in den Händen zu haben.
Der Geruch konnte also die Mengen und den Preis der Glarner Stoffe beeinflussen. Deshalb verwundert nicht, dass P. Blumer & Jenny über die Imitation von Gerüchen nachdachten. Ob sie es auch tatsächlich umsetzten, ist eine andere Frage. Zugang zu Damar hatten sie; im selben Buch ist nämlich eine Lieferung von 3 Kisten Damarharz vermeldet als kleiner Posten in einer grösseren Lieferung von Produkten aus Südostasien, die aus den Erlösen der Textilien gekauft wurden. Das Damar gelangte allerdings nicht nach Glarus, sondern wurde in London wieder verkauft.
Es bleibt ein Geheimnis
Dass dieser Räucherungsprozess in die normale Produktion eingegliedert wurde, ist höchst unwahrscheinlich. Zumindest weisen keine Quellen darauf hin. Das Problem liegt wohl beim zweiten Teil des kurzen Satzes: “Mögl. dass sich der Damar ohne Wachs auflöst.” P. Blumer & Jenny suchten nach einer Lösung ohne Timor-Wachs, denn dieser war ausgesprochen teuer. Das Gutachten schrieb zwar, dass der Duft des Harzes überwiege, dass sich dieser aber erst in Kombination mit dem Wachs entfalte. Bienenwachs aus Europa schien nicht die gewünschte Wirkung zu entfalten. Es kann also sein, dass in Schwanden Versuche mit dem Geruch von Damar gemacht wurden, dass sie jedoch nicht den gewünschten Effekt erzielten und man das Unternehmen wieder aufgab. Mehr Geheimnis als Betrieb!
Referenzen[+]
↑1 | Fort, Ludwig / Huber, Ludwig (1867). Neuestes Universal-Lexicon der gesammten kaufmännischen Wissenschaften. Bd. 1. Leipzig. |
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↑2 | Nabholz-Kartaschoff, Marie-Louise (2019). Original or Imitation? Batik in Java and Glarus (Switzerland) in the Nineteenth Century. The Textile Museum Journal 46(1). P. 198. |
↑3 | Das ganze Gutachten findet sich in: Rouffaer, Gerrit Pieter / Juynboll, Hendrik Herman (1899). De batik-kunst in Nederlandsch-Indië en haar geschiedenis. Haarlem: Kleinmann. B I-VI. |